1. Die Jugendzeit in Lübeck und Erfurt
August Hermann Francke wird am 12.3.1663 in eine angesehene Juristenfamilie in Lübeck geboren. Als August 7 Jahre alt war, starb sein Vater und die Familie siedelte nach Erfurt über. Eine sehr fromme Großmutter übt einen prägenden Einfluss auf ihn aus. Mit zwölf Jahren liefert der Junge sein Leben Gott aus. Seine Lieblingslektüre sind Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum. Er ist hochbegabt und lernt schon vor dem Universitätsstudium Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Latein, Hebräisch und Griechisch. Mit 16 beginnt er das Studium in Erfurt und geht nach einem Semester nach Kiel.
2. Francke in Leipzig
Nach einigen Studienjahren in Kiel und Hamburg geht Francke nach Leipzig, wo er seine Magisterarbeit über die hebräische Grammatik schreibt und nebenbei als Hebräischlehrer im Haus von Speners Schwiegersohn arbeitet. An der Universität gründet er ein Collegium philobiblicum, einen Kreis mit weiteren 7 Magistern, die sich regelmäßig in lateinischer Sprache wissenschaftlich über die Auslegung von Bibeltexten unterhalten. Im Frühjahr 1687 werden sie durch Spener selbst ausdrücklich darin ermutigt.
3. Franckes Bekehrung in Lüneburg 1687
Im Jahr 1687 geht Francke auf Veranlassung seines Onkels zur Vertiefung seiner biblischen Studien nach Lüneburg. Dort gerät er aus Anlass einer Predigtausarbeitung über Joh 20,31 in eine existenzielle Krise. Nach acht Jahren Theologiestudium scheint ihm sein Glaube unter den Fingern zu zerrinnen. Er zweifelt an der Echtheit seines Glaubens, der Existenz Gottes und am Absolutheitsanspruch des Christentums. Als er in dieser Situation Gott um Hilfe anfleht, erlebt er ganz plötzlich eine völlige Wandlung. Er wird überströmt von Freude und tiefem Vertrauen in Gott. „… denn wie man eine Hand umwendet, so waren alle meine Zweifel hinweg.“ Drei Jahre später veröffentlicht er einen Bericht über dieses Bekehrungserlebnis, der in der Folgezeit von vielen Pietisten als vorbildhaftes Modell für eine echte (plötzliche und datierbare) Bekehrung angesehen wurde. Franckes Bekehrung trägt dabei typisch neuzeitliche Züge. Er ist bewegt von der Anfechtung des Atheismus und vom Pluralismus der Religionen. Gewissheit erhält er durch eine persönliche Erfahrung.
4. Aufbruch in Leipzig
Nach seiner Rückkehr aus Lüneburg geht Francke 1689 zunächst für zwei Monate zu Spener nach Dresden. Hier bekommt seine Wiedergeburtserfahrung ein festes Fundament und kirchengeschichtlich gesehen übernimmt er direkt von Spener die Fackel des Pietismus. Danach kehrt er nach Leipzig zurück um an der dortigen Universität in neuem Geist und in deutscher Sprache biblische Vorlesungen zu halten. Francke bekommt riesigen Zulauf, während gleichzeitig die Hörsäle der orthodoxen Professoren gähnend leer bleiben. Franckes Freund Johann Caspar Schade hält sogar deutschsprachige Erbauungsstunden an der Universität, zu denen auch einfach Leute aus der Stadt in Massen strömen. Nun werden die Anhänger der neuen Bewegung zum ersten Mal „Pietisten“ genannt. Doch schon bald wird die pietistische Bewegung unterdrückt und die Dozenten werden aus der Stadt verwiesen. Francke selbst übernimmt ein Pfarramt in Erfurt und hält dort auch an der Universität zwei Vorlesungen. Nach anderthalb Jahren wird aber auch dort der Widerstand so groß, dass er im September 1691 Erfurt verlassen muss. Francke sucht in dieser Situation wieder den Kontakt zu Spener und wohnt und lehrt sieben Wochen lang bei ihm in Berlin.
5. Pfarrer in Glaucha
Durch Vermittlung Speners kann Francke dann an der neugegründeten Universität Halle einen Lehrstuhl für griechische und orientalische Sprachen besetzen. Daneben übernimmt er am 7.2.1692 ein Pfarramt in dem kleinen verarmten und verwahrlosten Dorf Glaucha bei Halle. Von den 200 Häusern des 800-Seelen-Dorfes sind 37 Gastwirtschaften. Nach zwei Jahren begann er 1694 damit, dass übliche donnerstägliche Almosenverteilen an die Armen mit einer viertelstündlichen Katechese im Pfarrhaus zu verknüpfen. Allmählich erkannte Francke, dass die Armut in seinem Dorf vor allem mit dem erschreckend geringen Bildungsstand zusammen hing, da es keine allgemeine Schulpflicht gab. Als er eines Tages eine größere Spende für die Armen erhielt, reifte in ihm der Entschluss, eine eigene Armenschule zu gründen. Er stellte einen Studenten an, der ab Ostern 1695 die armen Kinder täglich zwei Stunden unterrichtete. Die Idee schlug so ein, dass im Sommer des Jahres schon 50-60 (nicht nur arme!) Kinder zusammen kamen, die täglich fünf Stunden Unterricht erhielten.
6. Die Gründung des Waisenhauses 1695
Francke wurde vor allem berühmt durch die Gründung seines Waisenhauses und der daraus sich ergebenden „Glauchaschen Anstalten“, die seit Ende des 18.Jhs. „Franckesche Stiftungen“ genannt werden.
Zur Gründung kam es, weil Francke im Laufe des Jahres 1695 bewusst wurde, dass der tägliche Unterricht an den Kindern kaum Veränderungen bewirken konnte, wenn sie danach wieder in ihre verwahrloste Umgebung zurückkehrten. Deshalb sammelte er Spenden, kaufte im Oktober 1695 ein Haus in der Nachbarschaft, nahm 12 Waisenkinder auf und stellte den Theologiestudenten Georg Heinrich Neubauer als ihren Aufseher, Verwalter und Geschäftsführer ein. In der Folgezeit bot Francke armen Theologiestudenten kostenlose Essensversorgung im Waisenhaus, wenn sie dafür etwas mitarbeiteten. So hatte er einen großen Pool an preiswerten Lehrkräften.
Neben der Armenschule wurde schon ab Pfingsten 1695 ein Pädagogium eingerichtet, in dem Adelige und kommende Führungspersönlichkeiten auf ihre Laufbahn vorbereitet wurden. 1697 kam noch eine Gelehrtenschule dazu, die auf das Universitätsstudium vorbereitete. Dort wurden auch begabte Waisenkinder aufgenommen. Als die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten entschloss sich Francke zu einem großzügigen Neubau, der von 1698-1701 errichtet wurde.
Die Arbeit bekam nun viele staatliche Privilegien und Francke wurde 1698 auch zum Professor der Theologie ernannt.
Im Jahr 1701 verfasste Francke einen Bericht über die Entstehung der Anstalten mit dem Titel: „Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes zur Beschämung des Unglaubens und Stärckung des Glauben“. Die Arbeit lebte durch den ständigen Zufluss von Spenden und blieb damit ein „Glaubenswerk“. Bei Franckes Tod 1727 lebten in den Glauchaschen Anstalten 2234 Kinder (wovon allerdings nur 137 Waisen waren) und 106 Lehrkräfte.
7. Franckes Pädagogik
In pädagogischer Hinsicht bieten die Franckeschen Anstalten ein ambivalentes Bild. Begabtenförderung und hohe Effizienz in der Vermittlung von Wissen und mancherlei Fähigkeiten, auch technischer Art, waren die eine Seite, pausenlose Beschäftigung und lückenlose Kontrolle die andere. Es gab kaum Prügelstrafen, aber die Nötigung zur permanenten Selbstkontrolle und sogar zur Denunziation. Muckertum wie auch Aufbegehren konnten sich aus einer solchen Erziehung ergeben, leistungsfähige Bürger produzierte sie, aber auch ebenso angepasste Untertanen.“ M. Greschat, Christentumsgeschichte II: Von der Reformation bis zur Gegenwart (Grundkurs Theologie Bd. 4; Stuttgart 1997) 101.
8. Die ersten evangelischen Missionare 1706
Als der vom Pietismus beeindruckte dänische König Friedrich IV. im Jahr 1704 beschloss mit der Mission unter den Heiden in seinen Kolonien zu beginnen, suchte er zwei dafür geeignete Männer und fand sie unter Franckes Theologiestudenten in Halle. Am 29.11.1705 wurden Bartholomäus Ziegenbalg (1682 – 1719) aus Pulsnitz und sein Freund Heinrich Plütschau (1677 – 1746) in Kopenhagen als erste lutherische (und erste deutsche) Missionare der Geschichte nach Südindien ausgesandt. Am 9.7.1706 kamen sie in Tranquebar an. Mit ihnen begann vor 300 Jahren die evangelische Mission in Asien. Plütschau musste schon bald krankheitshalber nach Deutschland zurückkehren, Ziegenbalg aber übersetzte das Neue Testament ins Tamilische und baute eine umfangreiche Missionsarbeit auf, Er starb nach 13 Jahren Missionsarbeit am 23.2.1719, doch die Arbeit der dänisch-hallischen Mission ging weiter. Allein in den ersten Jahrzehnten wurden 40.000 Einheimische getauft.
10. Die Gründung der deutschen Bibelanstalt 1710
Neben der Waisenhausarbeit fing das junge Werk schon bald an auch an, zur eigenen Versorgung Wirtschaftsunternehmen und Handwerksbetriebe an das Waisenhaus anzugliedern. So entstanden auch eine Apotheke und eine Buchdruckerei. Hier kam es 1710 durch die Initiative des Barons Carl Hildebrand von Canstein zur Gründung einer Gesellschaft zur massenhaften Verbreitung von günstigen Bibelausgaben. Erst dadurch wurde die Bibel in Deutschland zu einem echten Hausbuch.