Orientierung

Buch des Monats 2015-10

Buch des Monats 2015-10

Heinzpeter Hempelmann

„Stürzen wir nicht fortwährend?“

Diskurse über Wahrheit, Dialog und Toleranz.

Jahr: 2015

Seiten: 592

Sprache: Deutsch

ISBN: 978-3417295481

 29,95 €

 

Mit diesem Band legt Heinzpeter Hempelmann den dritten Band seiner vierteiligen Reihe zum christlichen Wahrheitszeugnis inmitten eines postmodernen Wahrheitspluralismus vor. Zum Einstieg rekapituliert Hempelmann die Herausforderung der postmodernen Situation, wie sie von Nietzsche in seinem Gedanken des Todes Gottes verdichtet wurde, und führt so noch einmal ein in die grundlegende Perspektive des Gesamtprojekts. Im zweiten Abschnitt arbeitet sich Hempelmann am binnenkirchlichen Diskurs ab, wie die Vielfalt christlicher Wahrheitsüberzeugungen und die Einheit der Kirche miteinander verbunden werden können. Grundsätzlich wird im Anschluss die Auseinandersetzung mit einem „postmodernen“ Wahrheitspluralismus geführt. Als vermeintlicher Gegenentwurf zum Fundamentalismus gemeint, lebt auch dieser Ansatz von einem robusten Absolutismus seiner Geltungsüberzeugung (Gottesstandpunkt). Die Kapitel vier und fünf drehen sich um zwei Schlüsselworten der modernen Debatte: Dialog und Toleranz. Zunächst zeigt Hempelmann, dass die immer noch begegnende Entgegensetzung von Dialog und Mission in die Irre führt. Ohne Position gibt es keinen Dialog, ohne einen solchen keine Begegnung. Die Diskussion zur Toleranz wird vor allem vertieft durch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Kritik am Monotheismus. Sind monotheistische Religionen grundsätzlich nicht friedensfähig? Ist die Entgegensetzung des einen Gottes gegen die Vielfalt der Religionen die Mutter aller Intoleranz?

Wer sich mit früheren Veröffentlichungen von Heinzpeter Hempelmann beschäftigt hat, wird eine Reihe von Stichworten wieder erkennen, wie die Unterscheidung von Sachtoleranz und Persontoleranz, die Kritik am Gottesstandpunkt oder die Suche nach einem dritten Weg jenseits von Fundamentalismus und Wahrheitsrelativismus. Viele dieser Fragen hat Heinzpeter Hempelmann schon seit den 1990er Jahren ausführlich behandelt. Eine Reihe von älteren Texten (Wahrheit ohne Toleranz – Toleranz ohne Wahrheit? [1995], Glauben alle an denselben Gott? [1997], Gott ohne Gewalt [2009] etc.) ist in diesem Werk noch einmal neu zusammengestellt. Lohnt es, diese Fragen noch einmal im großen Zusammenhang zu durchdenken? Die spannende Frage lautet: Wie sind diese Gedanken inzwischen vertieft bzw. weiterentwickelt worden?

Was ist neu? Zunächst einmal das Bewusstsein, dass diese Form der Auseinandersetzung selbst ein Teil moderner, rationaler Bewältigungsversuche heutiger Herausforderungen ist und darum notgedrungen die Einsicht in die begrenzte Reichweite solcher Überlegungen bedarf.
Stärker zur Geltung kommt auch eine kirchlich-praktische Perspektive, wie es Kirchen gelingen kann, unterschiedliche Strömungen zu integrieren bzw. beieinander zu behalten.
Neu ist schließlich auch das Stichwort einer „schwachen Theologie“. Ausgehend von der Zeitdiagnose Friedrich Nietzsches wurde schon in den bisherigen Bänden die Auseinandersetzung mit verschiedenen „postmodernen“ Denkern geführt, so in der Aufnahme von Putnams Kritik des Gottesstandpunktes, Assmanns Kritik des gewaltförmigen Monotheismus oder Vattimos Kritik des starken Denkens und seinem Plädoyer für ein schwaches Denken. In diesem Band ist es vor allem der Gießener Philosoph Odo Marquard, dessen Kritik am Absolutismus der Vernunft positiv verarbeitet wird. Was steht hinter dieser für viele vielleicht ungewohnten Formel einer „schwachen Theologie“? Grundlegend für Hempelmanns Entwurf ist nach wie vor der Ansatz einer auf Christus bezogenen Wort-Gottes-Theologie. Mehr und mehr ist es die spezifische Gestalt Christi, die als maßgeblich auch für das theologische Zeugnis von ihr eingeschärft wird. Der Weg Jesu mit seinem Macht- und Statusverzicht, seiner Gewaltlosigkeit und Feindesliebe kann nicht von einem Denken bezeugt werden, das sich seinerseits selbstbehauptend und aggressiv gegen seine vermeintlichen Bestreiter wendet. „Das Evangelium kann ich nur so kommunizieren, dass die Art und Weise, in der ich es mit-teile, seinem Inhalt entspricht.“ (560).

Der dritte und letzte Band (der vierte ist schon 2006 erschienen) ist noch zu erwarten, und wenn sich angesichts des in Aussicht gestellten Aufbaus drei Wünsche äußern ließen, dann folgende:
Die Herausforderung des Fundamentalismus ist immer wieder als die andere Seite eines postmodernen Wahrheitsrelativismus erwähnt worden, m. E. aber noch nicht in gleicher Ausführlichkeit bearbeitet.
Wer in der Beschäftigung mit der Postmoderne bei Nietzsche seinen Ausgangspunkt nimmt, muss der nicht früher oder später zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Michel Foucault kommen?
Und zuletzt: Lassen sich auf dem Wege dieser Debatte die aktuellen Beiträge liberaler Theologie stärker ins Gespräch ziehen und würdigen?

 

Prof. Dr. Thorsten Dietz

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