Orientierung

Buch des Monats 2016-03

Buch des Monats 2016-03

Stephen Kuhrt

Tom Wright for everyone.

Putting the theology of N.T. Wright into practice in the local church

Jahr: 2011

Seiten: 108

Sprache: Englisch

ISBN: 978-0-281-06393-2

ca. £9.99

Dav Nicholas Tom Wright ist einer der produktivsten und am meisten rezipierten wissenschaftlichen Theologen unserer Tage. Insbesondere in der neutestamentlichen Forschung setzt er mit seiner monumentalen Reihe Christian Origins and the Question of God neue Maßstäbe. Bisher sind vier Bände erschienen. Im ersten Band geht es um den jüdischen Hintergrund des Neuen Testaments, im zweiten um die Person Jesu, im dritten Band um das antike, jüdische und frühchristliche Verständnis von der Auferstehung und vom Leben nach dem Tod, im vierten schließlich widmet sich Wright der paulinischen Theologie. Diese Reihe wurde wie alle eine akademischen Bücher unter dem Namen N.T. Wright veröffentlicht.
Gleichzeitig ist Wright aber auch ein Mann der Kirche, der es (nicht nur in seiner früheren Eigenschaft als anglikanischer Bischof von Durham) auch aufs Beste versteht, allgemeinverständlich zu sprechen oder zu schreiben. Im deutschen Sprachraum hat der Tübinger Neutestamentler Hans-Joachim Eckstein eine ähnliche Breitenwirkung. Wrights allgemeinverständliche Bücher sind allerdings um einiges zahlreicher und inhaltlich breiter aufgestellt. So hat er unter anderem eine sehr gut lesbare und leicht zugängliche Kommentar-Reihe zum gesamten Neuen Testament verfasst, veröffentlicht als Matthew, Paul oder John … for everyone.
Einige Bücher Wrights wurden in deutscher Übersetzung veröffentlicht, etwa die Kommentar-Reihe als Matthäus oder Paulus … für heute. Allerdings verlieren die Bücher in der Übersetzung einiges an Lesbarkeit, sodass normalerweise das englische Original deutlich vorzuziehen ist.

Das vorliegende Buch, – über, nicht von Wright – ist bisher nur im englischen Original erhältlich. Es ist der Versuch, das gewaltige (bisherige) Gesamtwerk Wrights in verdauliche Happen zu destillieren und am Beispiel der Wright’schen Eschatologie zu zeigen, wie sich Wrights theologische Ergebnisse im Gemeindealltag umsetzen lassen. Kuhrt, selbst Geistlicher einer anglikanischen Gemeinde im Südwesten Londons, berichtet aus seiner Erfahrung mit Wrights Theologie in der Gemeindepraxis.
Zunächst aber, nach einem Vorwort von Wright selbst, skizziert Kuhrt den bisherigen Werdegang Wrights vom anglikanischen Pfarramtsanwärter zu einem der bedeutendsten Neutestamentler unserer Zeit. Nicht zu kurz kommt auch Wrights Rolle in kirchlichen und gesellschaftlichen Debatten in England.
Im zweiten Kapitel wird es inhaltlich spannend, wenn Kuhrt als einer, der sich selbst als evangelikal versteht, theologische Lücken und Fehlentwicklungen im evangelikalen Denken thematisiert. Dabei geht es zunächst nicht um Wrights Korrektur-Angebote, sondern um die schlichte Erfahrung, dass die übliche evangelikale Theologie entscheidende Schwächen hat, die auch in der Gemeinde- und Glaubenspraxis zu konkreten Problemen führen. Kuhrt widmet sich den folgenden Themen: Dem Wesen der christlichen Hoffnung, der Bedeutung der Auferstehung Jesu, dem Fehlen einer überzeugenden theologischen Grundlage für ganzheitliche Mission, dem evangelikalen Umgang mit Sünde und dem Bösen, dem evangelikalen Verständnis von Sühne, evangelikalen Positionen zur biblischen Wissenschaft und dem Umgang mit der Bibel selbst, der evangelikalen Widersprüchlichkeit im Hinblick auf „die guten Dinge der Schöpfung“, den Sakramenten und der Kirche. Diese Fragen schreien nach einer guten Antwort – und diese sieht Kuhrt in Wrights Theologie gegeben.

So behandelt er im dritten Kapitel Wrights Denken im Überblick anhand zentraler theologischer Stichworte. Thema um Thema arbeitet sich Kuhrt vor, von Wrights Geschichtsverständnis über sein Verständnis des Exils und der Auferstehung bis hin zur Frage nach Buße und Rechtfertigung, vom Reich Gottes über Götzendienst bis zur Autorität Gottes in der Heiligen Schrift. Zusammenfassend schreibt Kuhrt (S. 64):

Rather than restricting the gospel to being about individuals “going to heaven when you die”, the Church’s role is to live within the story of Scripture, demonstrating, by word and deed, radical and Spirit-filled signs of the resurrection life that Jesus Christ has come to bring.

Es folgen drei Kapitel der praktischen Anwendung. In Kapitel vier geht Kuhrt auf die Bedeutung von Wrights Eschatologie für die seelsorgerliche Praxis ein. Welche Bedeutung kann die Theologie von der Neuschöpfung für trauernde oder leidende Menschen haben? Er schließt mit der Frage, wie sehr eine Auferstehungs-Eschatolgie vermittelbar ist angesichts des quasi-gnostischen Dualismus, der die kirchliche Alltagssprache prägt.
Im fünften Kapitel wendet sich Kuhrt den Implikationen für Evangelisation und Mission zu. Wenn Gottes neue Schöpfung diese Erde mit einbezieht, dann hat diese Welt eine deutlich höhere Bedeutung, dann ist Mission ganz selbstverständlich ganzheitlich – ohne dabei den persönlichen Glauben als Gottesbeziehung des Einzelnen zu vernachlässigen. Wenn Jesus schon heute Herr der ganzen Welt ist, dann ist das wesentlicher Bestandteil christlicher Verkündigung.
Im sechsten Kapitel geht es um die Konsequenzen Wright’scher Theologie für das sonstige Gemeindeleben, für Gemeinschaft und Zugehörigkeit, für christliche Charakterentwicklung. Kuhrt geht ein auf Vergebung und auf den Einsatz der Gaben und Fähigkeiten aller Gemeindeglieder, auf Gottesdienst-Gestaltung und die Rolle von Frauen in der Gemeinde oder den Umgang mit Homosexualität. Schließlich benennt Kuhrt ein paar Punkte, an denen er nicht mit Wright übereinstimmt und bekennt ganz am Ende des Kapitels, dass die konsequente Anwendung von Wrights Theologie die Gemeinde auch einzelne Mitglieder gekostet hat.

Kuhrt schließt das Buch mit dem siebten Kapitel. Unter der Überschrift „The challenge of Tom Wright to the Church“ kehrt er zurück zum Thema des zweiten Kapitels: Wo hat die gegenwärtige evangelikale Christenheit eine Korrektur nötig? In Kuhrts Worten (S. 102f.):

One most challenging but important question to which we need to have an answer is, what fresh insights from the Bible have really changed our evangelical tradition in the last ten years? It is not a bad idea to ask this question in terms of our personal Christian lives as well! If we struggle to find an answer, or resent the question being asked, the chances are that our authority is resting somewhere other than the Bible.

Es ist diese Herausforderung, die Kuhrts Buch prägt und die es neben dem kompakten Einblick in und Überblick über Wrights theologisches Denken zu einer absoluten Leseempfehlung macht.

 

Patrik Frank, PhD (Otago)

Tabor-Absolvent und Gemeinschaftspastor

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