Orientierung

Buch des Monats 2016-07

Buch des Monats 2016-07

Timothy Keller

Preaching. Communicating Faith in an Age of Skepticism.

 

Jahr: 2015

Seiten: 320

Sprache: Englisch

ISBN: 978-1-444-78330-8

ca. 14 €

C.S. Lewis des 21. Jahrhunderts“ wurde Keller schon genannt, er hat das bescheiden zurückgewiesen (was bleibt ihm übrig). Es stimmt auch wirklich nur zum Teil: Zwar ist der New Yorker Pastor in der weltweiten evangelikalen Christenheit längst ähnlich einflussreich wie Lewis es  war und noch ist. Auch ist Apologetik ein besonderes Anliegen von beiden. Bekannt geworden ist  Keller 2008 durch The Reason for God, eine Bestandsaufnahme seiner Argumente für den Glauben im Gespräch mit Skeptikern.
Aber Keller ist, anders als Lewis, eben in erster Linie Pastor, Gemeindebauer und Lehrer; nicht Literat. Er spricht weniger die Imagination, mehr den Verstand an. Seinem stetigen Output an Büchern in den letzten Jahren merkt man seinen Hauptberuf freilich nicht an. (Siehe auch die frühere Rezension zu Kellers Center Church auf dieser Seite. Dieses Buch ist inzwischen übrigens auch in deutscher Übersetzung erschienen.)
Für alle, die hinter die Kulissen von Kellers Predigttätigkeit schauen möchten, ist das jüngst erschienene Preaching besonders interessant. Der Untertitel ist dem von The Reason for God nachgebildet. Das hat sicher Marketing-Gründe, passt aber gut zum Inhalt. Keller versteht auch die Sonntagspredigt als regelmäßige Chance zur öffentlichen Rechenschaft über den Glauben.
Gäste im Gottesdienst dürfen also ruhig mitbekommen, was ‚intern‘ verhandelt wird — umgekehrt muss auch die Binnenkommunikation der Gemeinde immer nach außen hin zugänglich sein. Das hängt auch mit Kellers Grundvertrauen in die Schrift zusammen: Wer unaufgeregt Bibeltexte auslegt und sie kenntnisreich mit der umgebenden Kultur ins Gespräch bringt, so seine Überzeugung, wird wie von selbst Menschen für den Glauben interessieren. Damit ist auch sein homiletisches Anliegen benannt: die Auslegungspredigt, das expository preaching, als Motor des Gemeindeaufbaus.
Das steht bewusst ‚quer‘ zu manchen homiletischen Trends der letzten Jahrzehnte, in Amerika wie in Deutschland. Keller versteht sein Buch denn auch weniger als Lehrbuch, sondern mehr als „Manifest“, mit dem er zu engagierter und christuszentrierter Textpredigt ermutigen will. Dennoch finden sich im Buch natürlich auch viele praktische Anregungen und Diskussionen rund um neuere homiletische Entwürfe.

Das Buch gliedert sich in drei Teile:
I Serving the Word
II Reaching the People
III In Demonstration of the Spirit and of Power

Theologisch das meiste Gewicht hat erklärtermaßen der erste Teil. Wie so oft bei Keller lassen schon die Abschnittsüberschriften den Gang seiner Argumentation erkennen:

Preaching the Word
Grundlage und Orientierung der Predigt ist die Bibel, und das heißt bei Keller meist: ein einzelner biblischer Text. Als Verfechter des expository preaching empfiehlt er den Gang durch größere biblische Zusammenhänge, Abschnitt für Abschnitt. Schon deswegen, weil das den Prediger vor den eigenen Steckenpferden bewahrt:
„It has been said that even the best preachers have only a dozen or so sermons that they repreach, simply using the biblical passages as starting points. It is then added that the worst preachers have only one, repeated until it drives everyone crazy.“ (41)
Zwar wendet sich Keller auch gegen sklavische Befolgung der lectio continua — es ist ihm schon wichtig, auf aktuelle Anlässe flexibel eingehen zu können. Aber der Gang durch ganze biblische Bücher, auch über mehrere Wochen hin, sollte der Normalfall bleiben. Das ist typisch reformiert, getragen vom Respekt vor der Gesamtheit der Schrift und der Erwartung, dass Gott gerade so zur Gemeinde spricht:
„Because the gospel is the resolution of every plot line and narrative and the fulfilment of every concept and image in the Bible, then week after week the listeners — and the preacher — will become clearer about the character of Christ’s gracious salvation“ (42)

Preaching the gospel every time
Leser von Center Church haben spätestens hier ein Dejà vu — spricht Keller hier doch von den beiden großen Zerrbildern des Glaubens: legalism und antinomianism, Gesetzlichkeit und Gesetzlosigkeit bzw. Libertinismus. Gegen beide hilft nur die Botschaft von Gottes Gnade in Christus, die reines Geschenk ist und uns gerade so frei macht, neu nach Gottes Willen zu leben. Diese Botschaft brauchen Christen wie Nichtchristen gleichermaßen, schon deswegen können von beherzter evangelischer Predigt immer auch beide profitieren. (Zu fragen ist allenfalls, ob das ausschließt, zusätzlich auch besondere Räume für die klar evangelistisch zugespitzte Predigt zu reservieren.)

Preaching Christ from all of Scripture
Weil das Evangelium kein ‚Prinzip Gnade‘ ist, das sich von seiner biblischen Erdung auch ablösen ließe, ist evangelische Predigt immer Christus-Predigt. Damit meint Keller nicht die allzu erwartbare „Jesus-Kurve“ (M. Herbst) am Ende. Sondern er meint das behutsame Aufspüren von Spuren, Spiegelungen und Vorahnungen Christi in jedem Text. Keller führt dazu eine Fülle von Beispielen an, die sichtlich aus der Praxis stammen und seine Begeisterung erkennen lassen — das macht umso mehr Lust, auch selten gepredigte Texte neu auf Christus hin anzuschauen.

Der zweite und dritte Teil führen noch stärker in die Praxis und zeigen u.a., wie bei Keller das double listening (J. Stott) aussieht, das gleichzeitige Hören auf Bibeltext und aktuelle Kultur. Auch hierzu ist das Buch eine Fundgrube. Zu empfehlen ist es allerdings besonders als beherzter Rückruf zur Textpredigt, der die Debatte mit anderen Homiletiken nicht scheut.

 

Prof. Dr. Matthias Clausen

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