Buch des Monats 2016-12
Charles Campbell / Johan Cilliers
Was die Welt zum Narren hält. Predigt als Torheit
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Jahr: 2015
Seiten: 280
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-374-04149-7
28,00€
Es ist Sonntagmorgen, 11:45 Uhr. Gottesdienst und Predigt sind vorüber und man denkt darüber nach, warum man überhaupt noch auf der Kanzel steht und wer außer Frau Müller, aus der letzten Reihe etwas mitgenommen hat.Und dann noch ein Buch über Homiletik lesen?! Zudem noch ein Buch, das Predigt als Torheit und Predigende als Narren bezeichnet. Nein, danke! Dabei ist die Lektüre des Buches wirklich lohnenswert, weil herausfordernd.
Sie fordert heraus und irritiert. Denn die Kernthese der Autoren ist, dass das Evangelium eine Dummheit ist. Prediger sind Narren und Predigen ist eine Torheit (das Wortspiel des englischen Originals verbindet das gut: Preaching Fools).Die Autoren beziehen sich auf die paulinische Aussage über das Predigen in 1Kor 1, 17-25 (Wort vom Kreuz als eine Torheit) und 1Kor 4,9-10 (Narren um Christi willen), wonach Torheit der Herzschlag des Predigens ist. Genau diese Torheit macht den Prediger zum Narren und Predigen kulturkritisch. „Der törichte Weg der Liebe fordert das übliche Verständnis von Macht und Weisheit heraus, weigert sich, das Spiel der weltlichen Gegebenheiten mitzuspielen, auch wenn es zum Tod führt. Das Kreuz zu predigen heißt, in diese Torheit einzutauchen und die Rolle des Narren zu spielen.“ (S.29)
Törichtes Predigen unterbricht deshalb und widersteht dem alten Zeitalter mit seinen tödlichen Mächten und Gewalten. Es hat eine kulturkritische Funktion. Es schafft einen liminalen Raum, in dem Menschen die Grenze zum neuen Zeitalter überschreiten können. Der Narr unterstützt die Hörenden dabei die neue Zeit zu erkennen und nimmt sich selbst nicht zu ernst.
Das theologisch bedeutsame Konzept der Liminalität ist für Cilliers und Campbell zentral. Sie erläutern, dass die Torheit des Kreuzes einen liminalen Raum schafft, einem Knotenpunkt zwischen den Zeiten, wo Veränderung stattfinden kann und Gottes Geist weht. Liminalität kann aber auch befremden und Furcht einjagen und so zu „Wagenburgen“ und „eisernen Theologien“ (S.65-71) führen, also zu einer Kirche, die an ihrem Machtanspruch festhält und sich von denen „draußen“ abgrenzt.
Deshalb braucht es Narren, die predigen und damit Liminalität bewirken, Perspektivwechsel schaffen und zur Unterscheidung aufrufen (vgl. S.75) – so wie Jesus dies tat. „Der predigende Narr intendiert und antizipiert die letztgültige Transformation der Welt in die Fülle von Gottes neuer Schöpfung. […] Immer wenn wir uns niederlassen wollen, steht da der predigende Narr und hält einen trüben, zerbrochenen Spiegel in der Hand, der uns daran erinnert, dass wir noch auf dem Weg sind.“ (S.181) Predigende Narren bedienen sich dafür einer Theologie des Lachens, einer Hermeneutik des Spiels und einer Rhetorik der Torheit. Ja, wirklich. Die Begrifflichkeiten mögen vielleicht irritieren, jedoch sind sie genau deshalb befreiend anregend.
Zwei Homiletiker haben das Buch zusammen verfasst, der US-Amerikaner Charles Campbell und der Südafrikaner Johan Cilliers. Viele geist- und kenntnisreiche Geschichten und Beispiele aus der internationalen Kultur- und Zeitgeschichte machen das Buch zu einem Lesevergnügen. Da wird Picassos „Crucifixion“ ebenso besprochen wie das Leben des Heiligen Narren Symeon oder die Darstellungen verschiedener Karikaturisten. Sie veranschaulichen, die jeweiligen Thesen plastisch. Diese sind wiederum durch verschiedene theologische Konzepte, wie Henning Luthers Idee des Fragments oder das südafrikanische Gemeinschaftsmodell des ubuntu untermauert. Es wäre jeweils spannend, diese für andere Bereiche der Praktischen Theologie fruchtbar zu machen.
Die Lektüre des Buches lohnt sich. Sie fordert heraus, Wagenburgen und eiserne Theologien im eigenen Kontext zu identifizieren und zu hinterfragen und sich ganz neu auf den verrückten, närrischen Gott einzulassen, der skandalös und schwach eine neue Zeit eingeläutet hat. Das Buch ermutigt dazu, darauf zu vertrauen, dass das Wort vom Kreuz eine Gotteskraft ist, die Veränderung bewirken kann und kulturkritisch wirkt. Dazu braucht es närrische Predigten und Narren, die sie verkünden.