In den 1880er Jahren kam es allmählich zu einer organisatorischen Gestaltwerdung der Gemeinschaftsbewegung. Nach vorbereitenden Sitzungen unter der Führung von Theodor Christlieb und Elias Schrenk wurde zu einer Pfingstkonferenz 1888 im Predigtsaal der Herrnhuter Brüdergemeine von Gnadau bei Magdeburg eingeladen, um die innerkirchliche Erneuerung unter dem Blickwinkel der Themen Evangelisation und Heiligung zu stärken. Damit sollte unter anderem auch bewusst verhindert werden, dass die Heiligungsbewegung zu Abwanderungsbewegungen zu den Freikirchen führt. Alle zwei Jahre fanden nun diese „Gnadauer Pfingstkonferenzen“ mit theologisch klärenden und richtungsweisenden Vorträgen statt (ab 1906 dann jährlich). 1891 begann man mit der Herausgabe des Monatsblattes Philadelphia, welches die bestehenden und neu entstehenden Gemeinschaftskreise miteinander verband. 1897 kam es schließlich zur offiziellen Gründung des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (kurz Gnadauer Verband) als Dachorganisation der mittlerweile vielfältig entstanden pietistischen Werke. Dabei war die deutsche Gemeinschaftsbewegung um die Jahrhundertwende durchaus kein homogenes Gebilde. Die innere Spannung entstand vor allem aus dem Gegensatz der beiden Hauptwurzeln der Bewegung, dem deutschen Altpietismus und der angelsächsischen Heiligungsbewegung. Erst ihre Verschmelzung brachte der Gemeinschaftsbewegung ihr eigenes Gepräge und unterschied sie von den Erweckungen vor 1870. Als kurze Beschreibung der eigenen Verhältnisbestimmung zur Kirche wurde im Laufe der Zeit die so genannte Christliebsche Formel zum geflügelten Wort: „In der Kirche, wenn möglich mit der Kirche, aber nicht unter der Kirche.“
Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Identitätsstiftung der deutschen Gemeinschaftsbewegung stellte das 1892 zum ersten mal erschienene Reichsliederbuch dar, von dem bis 1930 ca. 2,4 Millionen Exemplare verkauft wurden. Hierin verband sich das Liedgut des deutschen Pietismus und der Erweckungsbewegung mit den Heilsliedern der angloamerikanischen Heiligungsbewegung. Nachdem es schon vorher weit verbreitet war, wurden die Reichslieder zum einheitlichen Liederbuch im Gnadauer Verband erklärt.
Besondere Merkmale der deutschen Gemeinschaftsbewegung
- Die zweite große Erweckung des 19.Jahrhunderts bekam durch ihre organisatorische Zusammenfassung in der Gemeinschaftsbewegung eine größere innere Geschlossenheit. Dies wurde wesentlich durch die Gründung des Deutschen Reiches 1871 erleichtert.
- Die Gemeinschaftsbewegung ist dadurch entstanden, dass die noch bestehenden altpietistischen Kreise der Erweckungsbewegung durch die Einflüsse der angloamerikanischen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung neu belebt und theologisch, sowie in der praktischen Arbeitsweise verändert wurden. Dies zeigte sich a. in der Arbeitsform der großen Konferenzen und Evangelisationen, sowie b. in einer viel stärkeren Betonung der Themen Evangelisation und Heiligung.
- Ein großer Teil der Führer Gnadaus waren landeskirchliche Pfarrer; dennoch ergab sich eine viel größere Distanz zur verfassten Volkskirche als bisher. Offiziell dachten die allermeisten nicht daran, sich von der Kirche zu trennen, faktisch begann aber ein Weg zunehmender Verselbständigung der Gemeinschaftsarbeiten von den örtlichen Kirchengemeinden.
- In politischer Hinsicht legte sich der Großteil der Gemeinschaftsbewegung große Zurückhaltung auf. Allgemeiner Kulturpessimismus (oft dispensationalistisch motiviert) und Furcht, sich zu sehr mit weltlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, standen im Hintergrund.
- Auch der Abstand zur Gegenwartskultur vergrößerte sich. Viele Kreise waren von prinzipieller Abgrenzung beherrscht, vor allem das Tanzen gewann Symbolcharakter, aber auch Alkohol und Tabak wurden oft prinzipiell abgelehnt. Man entfernte sich dadurch allerdings von der Lebenswelt der entkirchlichten Massen und es kam zu keinem evangelistischen Durchbruch.
- Zur Theologie bekamen die Gemeinschaftskreise zum allergrößten Teil überhaupt kein Verhältnis. Die Nähe zu positiv-konservativen Theologen wurde kaum gesucht. Ein so genannter „Eisenacher Bund“ von gläubigen Theologieprofessoren versuchte seit 1902 vergeblich dem entgegenzusteuern. Auch die eigenen Ausbildungsstätten legten lange nur geringen Wert auf eine gründliche theologische Ausbildung. Theologiekritik konnte sich bis hin zu Aussagen wie „Alle Theologie ist Gift“ steigern. Damit verloren die Gemeinschaftskreise endgültig die Verbindungen zu gläubigen Theologen in Kirche und Universität — unmittelbar vor Beginn der Pfingstbewegung.