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Vorläufer der Erweckungsbewegung

1. Die Zeitsituation

Gegen 1730 verliert der Pietismus langsam seine gesellschaftlich prägende Vorrangstellung. Die Aufklärung setzt sich immer mehr durch und bestimmt das allgemeine Bewusstsein. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts gehen die Besucherzahlen der pietistischen Gemeinschaften immer mehr zurück. Seit 1770 bestimmen Vernunft und Philosophie deutlich stärker die öffentliche Meinung als die frommen Kreise. Diese gibt es zwar immer noch, aber sie ziehen sich als die „Stillen im Lande“ (Ps 35,20) zurück. Ab 1780 beginnen die erwecklichen Kreise sich langsam wieder stärker in Organisationen oder um einzelne prägende Persönlichkeiten zu formieren. Durch diese Vorläufer entsteht eine Saat, die dann um 1830 die deutsche Erweckungsbewegung auslöst. Gefördert wird dies durch die sich langsam ausbreitende Romantik, die mit ihrem Sinn für das Irrationale auch das Ansehen der Frommen wieder begünstigte.

2. Die Herrnhuter Diaspora-Arbeit

Die Herrnhuter widerstehen den Einflüssen von Rationalismus und Aufklärung und führen auch nach Zinzendorfs Tod im Jahr 1760 ihre Missionsarbeit fort. Auch in Deutschland werden überall Kreise gesammelt, denen durch ermutigende Missionsberichte der Horizont geweitet wird. Reiseprediger besuchen in der Herrnhuter Diaspora-Arbeit auch in entlegenen Gegenden Deutschlands einzelne verstreute Gläubige und kleine Gruppen.

3. Die Deutsche Christentumsgesellschaft

Der Augsburger Pfarrer Johann August Urlsperger (1728 – 1806) muss 1776 aus gesundheitlichen Gründen sein Pfarramt aufgeben. Ihm ist es aber ein großes Anliegen, etwas gegen den glaubenszerstörenden Geist der Aufklärung zu unternehmen. Dazu möchte er am liebsten eine Art Apologetischer Zentrale gründen. Schließlich findet er in Basel einige Verbündete, mit denen er 1780 die Deutsche Christentumsgesellschaft gründet. Zunächst kümmert man sich darum, preisgünstige pietistische Literatur zu verbreiten und Kontakte zu den verstreuten Stillen im Lande aufzubauen, später traten dann Mission und Diakonie in den Vordergrund. Besonders durch Karl Friedrich Adolf Steinkopf, der von 1795 – 1801 als Sekretär der Christentumsgesellschaft wirkte, entstanden intensive Beziehungen auch zur englischen Erweckungsbewegung.

4. Christian Friedrich Spittler (1782 – 1867)

Spittler stammt aus Württemberg und entscheidet sich, nicht wie sein Vater Pfarrer zu werden. Nach einer kurzen Tätigkeit als Stadtschreiber wird er 1801 Steinkopfs Nachfolger als Sekretär der Deutschen Christentumsgesellschaft. Mit tiefem Glauben und großem Organisationstalent gründete er eine Vielzahl von bedeutenden Werken der Inneren und Äußern Mission. Am bedeutendsten wurde die 1833 gegründete Pilger-Missions-Gesellschaft, mit der zunächst fromme Handwerksgesellen als wandernde Missionare durch Europa geschickt wurde. Man merkte bald, dass die jungen Männer vor ihrer Aussendung eine theologische Grundausbildung benötigten, so dass Spittler in der St. Chrischona-Kirche in Basel ein Missionsausbildungszentrum aufbaute, das bis heute besteht.

5. Heinrich Jung-Stilling (1740 - 1817)

Heinrich Jung nannte sich später Stilling, weil er sich zu den Stillen im Lande zählte. Er wuchs in einem vom Pietismus beeinflussten Elternhaus im Siegerland auf und studierte dann Medizin in Straßburg, wo er mit Goethe und Herder Freundschaft schloss. Neben seiner Tätigkeit als Augenarzt wird er zum meistgelesenen Erbauungsschriftsteller seiner Zeit. Das Leben ist für ihn eine Wanderung durch viele Anfechtungen bis zur himmlischen Herrlichkeit: „Selig sind, die das Heimweh haben, denn sie sollen nach Hause kommen!“

6. Johann Kaspar Lavater (1741 – 1801)

Lavater war reformierter Pfarrer in Zürich. Er war ein weltoffener, hochgebildeter Theologe, Pädagoge und Politiker. Er hatte Kontakte zu Goethe und Herder, schrieb Kirchenlieder, malte über 22.000 Porträts zu wissenschaftlichen Studien und versuchte zwischen Pietismus und Aufklärung zu vermitteln.

7. Johann Friedrich Oberlin (1740 – 1826)

Der gebürtige Straßburger übernahm 1767 das lutherische Pfarramt in dem entlegenen und heruntergekommenen Steintal in den Vogesen. Ihm gelang es, dort bis zu seinem Tod eine blühende Infrastruktur aufzubauen (Straßen, Brücken, Schulen, Sparkasse, Textilindustrie). Er hatte den Grundsatz: „Nichts ohne Gott, alles für den Heiland!“ Er war ein tiefer Seelsorger und Missionsförderer und diente auch den Katholiken und Reformierten in seiner Gegend in gleicher Weise. Wie viele seiner frommen Zeitgenossen spekulierte auch er gerne über Jenseitsfragen. Seine früh verstorbene Frau erschien ihm angeblich neun Jahre lang danach immer wieder um ihm Trost und Rat zu erteilen.

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